Direkt zum Hauptbereich

Adornos Kafka

Ein Blick auf Adornos Blick auf Kafka

Es ist schon zwei Jahre alt und mir schnürt der Drang zu weinen den Hals zu, nicht aber sind gebunden die Hände mit den Fingern auf der Tastatur. Auch mit Tränen getrübtem Blick lässt sich tippen.
 
Ein Facebook-Philosophenfreund schickt zwei Posts auf den Weg mit Bemerkungen Adornos zu Kafka:
«Kafka verherrlicht nicht die Welt durch Unterordnung, er widerstrebt ihr durch Gewaltlosigkeit. Vor dieser muss die Macht sich als das bekennen, was sie ist, und darauf allein baut er. Dem eigenen Spiegelbild soll der Mythos erliegen. Schuldig werden die Helden von Prozess und Schloss nicht durch ihre Schuld – sie haben keine –, sondern weil sie versuchen, das Recht auf ihre Seite zu bringen. … Darum haben ihre klugen Reden, zumal die des Landvermessers, ein Törichtes, Tölpelhaftes, Naives: ihre gesunde Vernunft verstärkt die Verblendung, gegen welche sie aufbegehrt.»
Adorno, Prismen: Aufzeichnungen zu Kafka, 9.

«Die Schuldlosigkeit des Unnützen setzt den Kontrapunkt zum Parasitären: »Müßiggang aller Laster Anfang, aller Tugenden Krönung.« Nach dem Zeugnis von Kafkas Werk befördert in der verstrickten Welt jegliches Positive, jeglicher Beitrag, fast könnte man denken, die Arbeit selbst, die das Leben reproduziert, bloß die Verstrickung. »Das Negative zu tun, ist uns noch auferlegt: das Positive ist uns schon gegeben.« Heilmittel gegen die halbe Nutzlosigkeit des Lebens, das da nicht lebt, wäre einzig die ganze. So verbrüdert sich Kafka mit dem Tode. Die Schöpfung gewinnt den Vorrang übers Lebendige. Das Selbst, die innerste Position des Mythos, wird zertrümmert, verworfen der Trug bloßer Natur.»
Adorno, Prismen: Aufzeichnungen zu Kafka, 9.

Diese beiden Aufzeichnungen verleiten mich zu einer Bemerkung über den kafkASKen Fortsetzungsroman:

Die alten Bemerkungen werden noch kommen, sie werden nicht in der Digitalität gelöscht und dem Nichts überantwortet. Sie sollen bleiben, um das Bleiben überhaupt scheint es mir zu gehen - um die Kürze der verbleibenden Zeit im verfliegenden Leben, könnte ich auch meinen. Warum die Larmoyanz? Etwas Melancholie, etwas Rührseligkeit und immer das Gefühl, auch einen Schritt neben mir zu stehen! Der Rationalität der Unterdrückung versuche ich mich durch romantische Kniffe zu entwinden! Die Endlichkeit und Leichtfertigkeit des Lebens kann uns doch nicht ganz blenden, sage ich mir...

So vom 02. August 2020 bis zum 29. Mai 2022, einem Sonntag in meinem Paradies.

Ein Gespräch am Feuer in der vergangenen Nacht... meine Jacke duftet am nächsten Morgen noch nach Rauch, Stichworte fallen ganz klassisch: Freiheit und die Suche nach ihr, Struktur und Spontaneität. Zum Abschied ein ausgebliebener Kuss, Umarmung Wange an Wange - muss genügen. Die Streichhölzer werden über Nacht nass.


Eine Randbemerkung zu "Sokrates. Der kafkASKe Fortsetzungsroman" vom 2. August 2020:
Da wird ein Theaterphilosoph verhaftet. Die Verhaftung hat handgreifliche Züge; die Nase gebrochen, blutend wird er vom Polizistenpaar Johanna Metzger und Alfred Ross zurückgelassen, weil er ihnen "das Auto voll bluten würde", nähmen sie ihn mit! Uri Nachtigall ein Avatar des Autors Uri Bülbül. Ja, er würde sehr gerne handeln und sich handelnd aus dem Dilemma befreien, in das er irgendwie, warum auch immer, hineingeschlittert ist - ganz unschuldig womöglich, aber vielleicht auch, weil er "vor Winters in die Welt aufgebrochen ist", wie es in einem Nietzsche-Gedicht ("Vereinsamt") heißt. Aufgebrochen ohne Winterreifen und Winterbekleidung! Unvorbereitet in die Welt, "ein Tor zu tausend Wüsten stumm und kalt"? Kann man da überhaupt ganz unschuldig sein? Kafka zeigt die Absurdität des menschlichen Bemühens um Ordnung auf. Entweder wird es autoritär oder hilflos. Das was wir "Weg" nennen, ist nur ein Zögern (Kafka) ;) Als parasitär empfinden die Ordentlichen die Zögernden und die Zögernden sich selbst, wo sie die Kinder ihrer ordentlichen Eltern sind. Was tragen wir an Gift in uns, als Mitgift unserer Eltern für unseren Lebensweg und gesagt wird noch am Feuer, sie müsse lernen, Geschenke anzunehmen. Stumm schaue ich ins Feuer.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Schweigejahre

Schweigejahre Eine Rückschau Meine Rückschauen machen mich betroffen, ich kann mich nicht daran gewöhnen, obwohl das Spiel seit einer gefühlten Ewigkeit anhält und sich kein Bißchen verändert hat: Wie schnell die Zeit vergeht! Ach, das habe ich angefangen und wollte es doch zügig zu Ende bringen. Eine Idee, ein Entwurf, eine Einleitung - wohnte diesem Anfang nicht auch ein Zauber inne? Der Beginn des SOKRATES-Romans macht eine Ausnahme und macht sie doch nicht. Am 02. Januar 2014 veröffentlichte ich die erste Folge des Romans - damit fing es an; ihm sollte auch ein Zauber innewohnen und doch war auch von vornherein klar: das ist eine (fast) never ending story! Ich hatte mir vorgenommen 360 Folgen zu schreiben und dann sollte der Roman seinen Abschluss finden. Er sollte ein Ende haben, wie jede ordentliche Geschichte ein Ende hat - Fragmente darf ein Kafka hinterlassen - ein Bülbül nie und nimmer: quod licet jovi, non licet bovi! weiß der Lateiner darauf zu sagen. Ich liebe diesen

Beerenpflücken

Beerenpflücken für SOKRATES An einem Morgen noch vor dem Kaffee, das Bett ist noch nicht gemacht und der Himmel unter der Schädeldecke heiter bis wolkig. Hier und da wie Wetterleuchten aus der Ferne Gedankenblitze. Ein Autorenkollege, den ich sehr schätze, hat vor Monaten einen Satz auf Facebook gepostet, der mich wie ein Donnerschlag gerührt hat. Er war auf Türkisch und ich habe sofort eine Überstezung versucht und nein, die Melancholie und die Tragikomik des Satzes, der literarisch auf einem kafkaesken Niveau steht, habe ich nicht hinbekommen. Auf Deutsch holpert er und stößt wie gegen eine fragile Vase an meinen Glauben an die Übersetzbarkeit in einer etwas freien Nachdichtung. Eine Nachdichtung, die den Geist des zu übersetzenden Satzes erfassen und in einer anderen Sprache wiedergeben muss. Auf die Wörtlichkeit kommt es nicht an, sondern auf den Sinn, der eben aus diesem zu erfassenden Geist besteht. Geister aber bewohnen die Zwischenräume zwischen Himmel und Erde, zwischen den Bu