Ein lustiger, lachender, schnatternder Delphin und irgendwo in den Tiefen des Bassins war auch seine Mutter, der Wolfswelpe Jonathan aber verstand nichts von den vielen Dingen, die er da träumte; er wollte sich an jemanden kuscheln, ganz lieb gestreichelt werden und sich wohl und sicher fühlen. Das Piratenschiff war nichts für ihn. Er wollte lieber im Arm jenes Mädchens sein, an dessen Namen er sich nicht erinnern konnte und auch nicht so richtig an sein Gesicht; dafür aber an die zärtlichen Hände, die ihn trugen und streichelten und an den Geruch. Jonathan hatte im Traum wohl so sehr geheult, dass andere Menschen auf ihn aufmerksam geworden waren - nur Basti nicht; Basti, der sich um ihn kümmern wollte, hatte Jonathan allein gelassen und war, niemand weiß, wie das geschehen kann, als sprechender rosa Delphin in den großen Bassin tief im Hattinger Wald geschwommen, wo ein Piratenschiff mit einem Kapitän, dessen Kopf abgeschnitten und vom Körper getrennt, immer wieder notdürftig auf den Hals gesetzt wurde, bei einer falschen Bewegung abfiel, wie zum Beispiel bei einer zu tiefen Verbeugung, weit vom Ufer entfernt in der Flaute wartete, dass endlich wieder Wind und Bewegung käme. Manchmal fand der Kapitän blind tastend den Kopf selber und setzte ihn sich auf den Hals, manchmal tat es sein erster Maat, der Magister Wigbold genannt wurde. Magister Wigbold war der einzige Pirat an Bord, der, bevor er Pirat wurde, eine Universität besucht und gelehrte Vorlesungen von Professoren der Theologie, Medizin, Philosophie und Jura in Rostock gehört hatte. Er konnte Bücher lesen und hatte sogar selbst ein Buch als Magisterthesis geschrieben, um in den erlauchten Kreis der Lehrmeister an der Universität mit dem Titel "Magister Artium" aufgenommen zu werden. So wurde er nach der schriftlichen Vorlage seiner Thesen der erlauchten Kommission der Professoren und nach einer strengen Prüfung mit einer Disputation zu Magister der Sieben Freien Künste promoviert und erhielt den Titel eines Doktors. Doch lehrte Wigbold nicht an einer Universität, sondern durch widrige Umstände des Lebens kam er zur Seeräuberei. «Dir werde ich eines Tages diese sogenannten widrigen Umstände erläutern, du kleiner Blaubeerseebär in Delphingestalt», sagte er zu Basti. Basti schwamm als rosa Delphinjunge um das Schiff herum, tauchte unter dem Schiff durch und in die Tiefen des Bassins, um zu überlegen, wie er den Piraten am besten helfen konnte, um aus dieser Flaute herauszukommen. Welcher Weg führte aus diesem windstillen Bassin in die stürmische Nordsee mit haushohen Wellen und wildem Seegang? Nicht umsonst wurden die Delphine die besten Freunde und Lotsen der Seefahrer genannt. Basti aber tauchte tiefer und tiefer und dachte: «Wie gut, dass ich nicht auf den Planken der Bunten Kuh an Deck liege! Da könnte ich ja gar nicht denken und bekäme überhaupt keine Idee! Ein Delphin muss im Wasser schwimmen, um auf gute Ideen kommen zu können! Ich werde einen Weg für die Bunte Kuh finden!»
Und natürlich ist ein Weg in Sicht, wo der Wille nicht fehlt:
Kaum hatte Claudius Dinofino Blaubeerbär darauf aufmerksam gemacht, konnte er das auch sehen und einen Ruf hören, was sich etwa als Wort so anhörte wie Uhr, aber aus zwei Silben bestand und nach dem Dehnungs-H, was ein wenig kehlig ausgesprochen wurde noch ein U enthielt. Die Stimme der Landvermesserin war schrill und ging beim zweiten U langgezogen in die Höhe. Fast zuckte das Kind zusammen, war aber auch froh und aufgeregt, gerufen zu werden. Da kam Dinofino Blaubeerbär spontan auf eine Frage zurück, die er als Mensch schon dem Theaterphilosophen gestellt hatte. Jetzt stellte er sie Claudius: «Weißt du eigentlich, wer uns schreibt?» Und er war sehr gespannt, ob Claudius diese Frage überhaupt verstehen würde. «Ein Shakespeare-Anhänger, könnte man meinen, aber ich glaube, er hat sich auf ein Drama eingeschossen. Mehr kann ich Dir auch nicht sagen», antwortete der Blauwal im Bassin. «Ich werde nach und nach – Folge für Folge sozusagen – mehr über ihn herausbekommen. Ich glaube, er möchte uns ja auch einiges über sich mitteilen», erwiderte Basti. Der Blauwal blies eine große Fontäne in die Luft und machte zwei, drei Schwimmbewegungen an der Wasseroberfläche, was die „Bunte Kuh“ und ihre Besatzung in Bewegung und Aufregung versetzte. Magister Wigbolds Stimme wurde unüberhörbar: «Alle Mann auf ihre Plätze! Es geht weiter! Moby Dick ist da und wird uns ziehen!» Da wurde auch die plötzlich äußerst strenge Stimme des Kapitäns hörbar: «Magister Wigbold! Sofort zu mir!» «Aye, aye, Captn! Wigbold zur Stelle!» «Verdammt, Wiggie! Woher kennst du Moby Dick?» «Kapitän? Was soll ich sagen? Das ist mir so rausgerutscht! Wer zum Klabautermann ist Moby Dick?» «Sag mir ganz ehrlich, Wiggie! Wenn du mich jetzt anlügst, soll dich der hundertköpfige Höllenhund beißen: Bin ich Captn Ahab?» Völlig verdutzt und erstaunt stand der erste Offizier vor seinem Kapitän; dann fasste er sich ein Herz: «Käptn, ist dir einmal zu viel die Rübe vom Hals gefallen? Was redest du da? Du bist unser Kapitän und Anführer Störtebeker! Und nun geht die Reise weiter; das Schiff schaukelt im Wellengang und die Flaute hat ein Ende! Nenn mich Ismael, wenn das nicht stimmt! „Wir alle sehen in den Flüssen und Meeren dasselbe Bild. Es ist das geheimnisvolle Bild des Lebens, das wir nicht fassen können.“ So sagt es der Dichter und nun kommt das Wasser in Wallung, es geht weiter, Kapitän, immer weiter!» «Du nennst mich „Störtebeker“? Dann aber los! Steuermann, Kurs Nord-Nordost! Wir werden Dänemarks Küste ansteuern! Und dort auf den Felsen erbaut das besagte Schloss!» «Wie sehr sich die Seeräuber freuen!», staunte der Delphin. «Du hast nur einmal eine Fontäne gespritzt und einmal mit der Schwanzflosse geschlagen und schon stürmt die „Bunte Kuh“ neuen Abenteuern entgegen.» «Ja», antwortete der Blauwal, «das finde selbst ich äußerst erstaunlich! Und sehr interessant, dass die Reise nach Helsingör geht. Komm, wir werden das Schiff nach Dänemark treiben.»
Aber festzuhalten war, ist und bleibt: es führt kein Wasserweg aus dem Bassin!
Aber, aber! Wer wird sich, bitte schön, an solchen Kleinigkeiten aufhalten? Natürlich fliegt die Bunte Kuh Helsingör entgegen, während im Schloss auf dem Felsen einer grübelt, es sei etwas faul im Staate Dänemark, als wäre nur Dänemark von solch Fäulnis befallen. Was aber modert nun genau unter der schönen Decke? Soll das ein Kapitän herausfinden, der so häufig den Kopf verliert? Oder der verständnislose Wolfswelpe, der sich nach Zärtlichkeit und Geborgenheit sehnt? "Wir können die Richtung des Windes nicht ändern", weiß Magister Wigbold zu erzählen, "aber wir können die Segel anders setzen", während der Blauwal namens Claudius die Bunte Kuh mit rasender Geschwindigkeit auf den Rand des Bassins zieht, dass das Schiffchen zerschmettern wird. Magister Wigbold aber scheint sich seiner Sache sicher, und er befehligt die Mannschaft. Dinofino Blaubeerbär alias Basti staunt nicht schlecht und kann noch ein Schiffstau ergfeifen, woran er nun hängt wie ein Fisch an der Angel, während die Segel horizontal gespannt sind wie Flügel und die Bunte Kuh aus dem Wasser abheben lassen wie ein Wasserflugzeug. So fliegt die Bunte Kuh und am Tau baumelt Dinofino Blaubeerbär als rosa Delphin und darf nicht schnattern, um nicht in die Tiefe zu fallen. So fliegen wir nach Helsingör. Und der Wal dreht im letzten Moment ab vor dem Rand des riesigen Beckens. Große Wellen schwappen an Land, und er ruft: "Grüßt mir den König! Möge der Grübler gnädig mit ihm sein!" Genau das aber erscheint mir nicht realistisch.
Der Roman aber erwacht aus dem Koma. Sein Leben ist anders geworden, der in ihm waltende Geist hat sich verändert, so ein Wort wie "Universalpoesie" hat ihn gestreift, verfärbt, die Tonlage versetzt. Er schaut sich schlaftrunken um, versucht sich zu erinnern und zu orientieren. Weit verstreut um ihn geladene Moleküle wie einsame Splitter. Kommen sie vom zersprungenen Ganzen oder streben sie zur Ganzheit? Noch nie war mir etwas so irrelevant wie diese Frage. Sie ist eine mir fremde Person, die mich nach dem Weg fragt, den ich nicht kenne. Ich bin selbst fremd hier, sage ich und will allein sein. Fast feindselig wende ich mich ab, was mir auch etwas leid tut. Aber manchmal müssen Impulse stehen bleiben, unbewertet und ungedeutet. Wer aus dem Koma erwacht, ist aus der Zeit gefallen. Aber will er denn wieder in die Zeit zurück? Oder ist hier die Chance, Neues zu entdecken - neues für sich, für das Leben, für das eigene und womöglich eigentliche Leben. Ist es nicht schön, dass die Bunte Kuh aus dem Flautenbassin davon fliegen konnte?
Wir müssen die Segel anders setzen.
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