Endlich, endlich!
Jubelt es in mir! Ich feiere nach der langen Pause das Schreiben auf dem Blog - genauer auf dem SOKRATES-Blog. Ich habe eigentlich das Bedürfnis, Adornos Kafka-Aufzeichnungen zu interpretieren, aber entdeckt und zitiert sind sie bereits, sollen sie erst einmal für sich selbst sprechen. Sie brauchen mich ohnehin nicht als Fürsprecher, ich aber brauche sie als Zeugen meiner mentalen Prozesse, was sie nicht nur bezeugen, sondern auch vorantreiben. Sie sind provozierende Agenten in mir, Adorno versetzt mich in erstaunliche Unruhe. Das Misstrauen gegen Zeichen und Gedanken kommt nicht von Ungefähr. Der Motor als Zeuge der Automobilität. Um das schiefe Bild zurechtzurücken: als Symptom oder Symbol der Automobilität! Der Baum selbst ist ein Symbol 🌳, wie sollte es ein Metasymbol auf dem nächsten Level erhalten? Anders gesagt: Wie aber steht es um die Mobilität eines mentalen Baumes im inneren Wachstum eines Menschen?
So habe ich mein Aufderstelletreten metaphorisch euphemisiert, die Depression, die davon ausgehen oder sich daran aufhängen könnte, abgewendet und mich beruhigt. Und nun will mein Cogito beruhigt auf die Reise. Und jede Reise, sagt mir mein Narrativ, ist eine Befreiung aus den Ketten der Perspektivgebundenheit. Dieser Spruch könnte auch von demjenigen stammen, der den Spruch erfunden hat: Jeder Gang macht schlank. Von der Perspektive befreit zu sein, bedeutet eigentlich, enthauptet zu sein.
Nein, ich möchte die Vergesslichkeit nicht umwerten: wer etwas vergisst, muss Extrawege gehen, ein Fitnessprogramm wird daraus nicht! Und die Perspektivlosigkeit möchte ich nicht überbewerten. Denn ist es nicht eher so, dass ein orientierungsloses Cogito der Perspektivunabhängigkeit huldigt, um dadurch sein Tappen im Dunkeln zu kaschieren?
Standpunkt, Blickwinkel und Öffnen des Blickwinkels - so geht spirituelle Geodäsie! Nicht, dass ich damit keine Probleme hätte! Spiritualität muss neu bestimmt werden; der Landvermesser Bülbül bei Viktor Frankenstein in der schiefen Hütte zeugt davon und wird noch eine Menge zu erzählen haben. Aber ein Landvermesser trägt die Geometrie in die Landschaft hinaus. Die Finsternis des schwarzen Würfels, worin Alfred Ross gefangen war, wird verlassen. Ross der Glückspilz hat auch noch eine schöne wie kluge Begleiterin gefunden. Was ihm gegönnt sei, solange er sich zu benehmen weiß.
Wie zufällig entsteht mit einer Freundin die Diskussion über meine Wendung "magischer Surrealismus". Sie vermutet einen Pleonasmus darin und fragt zurecht: "ist der Surrealismus nicht immer magisch?" Ich habe es provoziert! Schon beim Tippen auf WhatsApp fragten mich die Fingerspitzen dasselbe! Ich hätte es löschen können und ließ es. Die Fragen stellen sich einem, denen man sich auch stellen will.
Nun sehe ich eine Differenz. Das Magische bezieht sich auf die Spiritualität. Der Surrealismus kommt auch ohne Spiritualität aus. Oder es ist zumindest eine andere Art der Spiritualität, die sich auf die Bebilderung der Psyche konzentriert. Farbunterschiede im Blau der Romantik! Gefühle und Träume, die Verzerrung und Neuordnung der Gegenstände der realen Welt, ihre Übertragung von der gegenständlichen Realität als Metaphern in die Welt der Gefühle und Träume macht den Surrealismus aus, ohne dass wir die Transzendenz allzu sehr ins Religiöse rücken. In SOKRATES aber gibt es Geister, Gespenster, Geisterseher, Spuk und auch Fabelwesen. Deren Wirklichkeit wird nur in der Fikton behauptet, weshalb SOKRATES kein religiöser Roman ist. Als Gattungszuordnung finde ich "magischen Surrealismus" ganz passend. Letztendlich bleibt er auch in dieser Schublade nicht verfangen. Die Idee von weiteren Dimensionen als der Dreidimensionalität der Erkenntniskategorien Raum, Zeit und Kausalität führt zu Geschichten des magischen Surrealismus.
Ich muss Magie und Spiritualität gegenüber Religion abgrenzen. Religiosität ist mir zuwider und erscheint mir in jeder noch so liberal vorgebrachten Form eine Form der Bigotterie, Heuchelei und des Autoritarismus zu sein. Und die Personifizierung universaler Energien und unverstandener Phänomene zu einem Gott und dessen Wunder hat eine märchenhafte Naivität, hinter der die Keule der Institution geschwungen wird. Moral, Macht und versteinerte klerikale Verhältnisse, ganz gleich, um welche Religion es sich handelt.
Schelling habe Gott gekannt wie kein Zweiter, habe ich in FR-Online gelesen. Dazu musste ich unbedingt einen Kommentar verfassen, auch wenn der heutige Skeptiker dem Motto folgt, der Weise enthalte sich eines Online-Kommentars, muss ich gestehen, dass ich zwar der Liebhaberei für Weisheit schuldig mich fühle, weil ich sie ja auch zu stalken versuche, aber doch selbst nicht weise bin. Der Philosoph kann schon dem Begriff nach kein Weiser sein, sonst wäre er ein Narzisst und in sich selbst (als Weiser) verliebt. In sich selbst verliebt sein und Weisheit aber schließen sich grundsätzlich aus. Ist das schon mal irgendwo Thema gewesen?
Wenn Schelling Gott kannte wie kein zweiter, war er womöglich ein Narzisst. Immerhin, so erfahren wir auch aus dem Artikel, gelang es ihm, Caroline Schlegel für sich als Lebensgefährtin zu gewinnen. Hölderlin hatte es mit der Bankiers Frau Suzette Gontard weitaus schwieriger mit dem erfüllten Ausleben der Liebe in Freiheit, die im Übrigen im selben Hirschgraben wohnte, wo Johann Wolfgang zur Welt kam und aufwuchs. Der Hirschgraben war nicht der Ort geistiger Eliten voller Liebe für die Weisheit, sondern sozial-ökonomischer Eliten, die Dichter und Philosophen bestenfalls als Hauslehrer duldeten, aber doch nicht als Liebhaber der Ehefrauen.
Gott zu kennen wie kein anderer - der wesentliche Irrglaube einer jeden Religion. Ich als heutiger Hölderling dem Wahne verfallen, die Romantik mit ganzem deutschen Idealismus in kulturphilosophischer Praxis postmodern auferstehen lassen zu können mit meiner kümmeligen Abstammung, konstatiere, dass den Kollegen aus dem Tübinger Stift die passenden Diskurse fehlten in theologischer Umnebelung. In dieser Widrigkeit ließen sie eine große und attraktive Philosophie aufscheinen, die bis heute strahlt. Ein wahrhaft strahlendes Leuchtturmprojekt goetheanischer Ministerialbürokratie, wenn man denn Berlin in Jena wurzeln lassen will. Eines, das heute seinesgleichen sucht. Wohin hat sich die Demokratie heute nur entwickelt? Auf einen Lehrstuhl schaffe ich es nicht, bin weder Magister noch Doktor gar. Vielleicht finde ich eine nette Herberge in der Klapse - ganz ohne Diotima und Göttliches. Einen Schreinermeister Zimmer wird man schwerlich finden in der heutigen Zeit. Die “Barbaren von alters her” sind durch Konsum und Socialmedia noch Barbarischer geworden.
Natürlich ist die ursprüngliche Textstelle in Hölderlins Hyperion "über die Deutschen" interpretationsbedürftig: "...durch Fleiß und Wissenschaft und selbst durch Religion barbarischer geworden, tiefunfähig jedes göttlichen Gefühls, verdorben bis ins Mark zum Glück der heiligen Grazien, in jedem Grad der Übertreibung und der Ärmlichkeit beleidigend für jede gutgeartete Seele, dumpf und harmonielos" (Hyperion an Bellarmin)
"Genug", sagt er zum Schluss und appelliert an das Verständnis seines deutschen Freundes, denn eines ist ganz klar: es sind nicht alle Deutschen gemeint, wenn sich das beschriebene und beklagte Phänomen überhaupt auf Deutschlanf reduzieren lässt, es ist die aufkeimende kapitalistische, moderne Gesellschaft, die nicht sehr viel später in ihre urbanisierte und industrialisierte Hochphase mit allem sozialen Elend, den politischen Kämpfen und Bismarcks Sozialistengesetzen und Sozialgesetzen treten wird. Doch das ist erst der Anfang des modernen Treibens, der "Modern Times" bei Charly Chaplin. Zwischen Hölderlins "Hyperion" und Chaplins "Modern Times" liegen zwischen 1799 und 1936 137 Jahre. Und acht Jahre später erscheint von Hrokheimer/Adorno "Die Dialektik" der Aufklärung. Damit ist die kapitalistische Entfremdungskultur, die den Menschen der Menschlichkeit fremd macht, also den Menschen sich selbst beraubt, bestens beschrieben. Von da an kann es an Exegesen und interpretierenden Gegenwartsbezügen etliche geben.
Es bleibt aber natürlich die Frage offen, ob das, was vor der Moderne war, tatsächlich so idealiter hochglänzend menschlich war oder erst in der Renaissance mit Goldplättchen geschönt wurde. Auf die Schnelle muss es dazu keine Antwort geben!
Auf der Suche nach dem tiefsten Grund ihres Unbehagens in der Kultur befinden sich meine Romanfiguren, da befand auch ich mich! Gerade als sich in SOKRATES der Höllenschlund meines Unterbewusstseins zu öffnen und poetisieren begann (da tauchte die Landvermesserin im Borgward auf und Basti traf den Landvermesser im Hattinger Wald, Friedhelm Förster verabschiedete sich höchst unnatürlich aus dem Leben), wuchs nicht nur meine Freude am "magischen Surrealismus" meines Romans, sondern auch meine eigene Furcht davor. Ohne es mir einzugestehen, verließ ich schnell die Schreiberei daran, Basti hatte als Delphin gerade mit dem Seeräuberschiff ("Smutje, Smutje,wirf deinen Kopf herab!") im Bassin Fahrt aufgenommen, und malte mir alles Weitere lieber nicht mehr narrativ aus.
Ja, ich gestehe offen und ehrlich: es gibt auch die Angst vor dem eigenen Roman, die Gänsehaut, während des eigenen Erzählens. Hier aber schreibe ich mir Mut zu, nachdem ich in der vergangenen nacht vom 31. Januar zum 1. Februar 2025 226 Jahre nach Hyperion nicht einen "heiligen Schauer" erfuhr, aber einen realen Traum hatte: ich fuhr in einem Auto mit dem Rücken in Fahrtrichtung sitzend, ohne dass ich den Fahrer sehen konnte, während das Auto immer schneller und schneller wurde, die rasante Fahrt mir Angst machte und ich endlich meinen Vater dazu bewegen konnte anzuhalten. Wir stiegen aus und ich fragte ihn, ob wir eine Aussprache nötig hätten. Mein vater ist seit dem 02. August 2009 tot.
Wenn ich von meinem Vater träume, ist er entwder ein stiller vorwurfsvoller Beobachter meiner Handlungen, oder wir befinden uns in einer unöglichen Situation im Auto, z.B. an einer gefährlichen Hanglage oder an einer Klippe oder eben in dieser rasanten Fahrt wie in der vergangenen Nacht. Soll ich nun den Rest den Psychologen und Traumdeutern überlassen? Ich selbst habe spontan keine Deutungsidee.
Vielleicht aber sollte ich, um mich das Gruseln zu lehren, mich wieder meinem endlosen Fortsetzungsroman SOKRATES zuwenden.
Wirklich?
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